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Privatisierung von Kliniken Auf Kosten der Patienten

Sie sollte zu einer wegweisenden Krankenhausversorgung führen. Doch die Privatisierung der Uni-Kliniken Gießen und Marburg droht, im Desaster zu enden. Auch in kleineren Privatkliniken zeichnen sich gefährliche Trends ab - zu Lasten der Patienten.
OP-Saal: "Kahlschlag der medizinischen Versorgung"

OP-Saal: "Kahlschlag der medizinischen Versorgung"

Foto: A3464 Rainer Jensen/ dpa/dpaweb

Ob öffentlicher Personenverkehr, städtische Immobilien oder Wasser- und Energieversorger: Vor einer Privatisierung ist die Euphorie oft groß. Weg mit der Beamtengemütlichkeit - und schon wird alles besser. Doch die Realität sieht in vielen Fällen anders aus. Weder kommt es etwa zu den vollmundig versprochenen Preissenkungen, noch kann von einer Verbesserung der Versorgungsqualität die Rede sein.

Auch im Gesundheitssystem landen immer mehr Kliniken unter dem Hammer. Doch wie sinnvoll sind Privatisierungen in dem Bereich wirklich? Und wie wirkt sich ein solcher Schritt auf die Versorgung der Patienten aus?

Kritisch wird es, wenn es sich dabei um große Häuser handelt, die eine ganze Region medizinisch rundum versorgen müssen. Das zeichnet sich am Beispiel der unendlichen Geschichte um das Uni-Klinikum Gießen und Marburg (UKGM) ab: Unter großem Jubel 2006 an die Rhön-Klinikum AG übergeben, galt das UKGM anfangs als gelungenes Exempel für die erste Privatisierung einer Universitätsklinik.

Es sollte eine wegweisende Krankenhausversorgung bieten, hieß es seinerzeit - und ganz nebenbei sollte es die klamme Landeskasse entlasten. Der Investitionsstau schien aufgehoben, neue Geräte wurden angeschafft, eine Kinderklinik am Standort Gießen in nur elf Monaten errichtet.

Ausgedünntes Personal

Übriggeblieben ist von der Euphorie inzwischen nicht mehr viel: Bereits nach kurzer Zeit wurden Bereiche ausgelagert, rigoros wurde alles billiger gemacht - mit unterbezahlten Putzkräften und ausgedünntem Pflegepersonal. Hinzu kamen höchst umstrittene, vertraglich vereinbarte Erfolgsquoten wie etwa Mindestoperationszahlen für Chefärzte.

Das UKGM kann allerdings belegen, dass von 2006 bis 2012 mehr als 450 Stellen über alle Berufsgruppen hinweg geschaffen wurden, und dass heute mehr Ärzte und Pflegekräfte im Klinikum arbeiten als bei der Übernahme.

Ebenfalls fester Bestandteil des geheimen Verkaufsvertrags zwischen Land und Rhön war die Errichtung eines Partikelzentrums. Die rund 120 Millionen Euro teure Einrichtung sollte die Tumortherapie in der gesamten Region revolutionieren. Doch davon ist, trotz einer drohenden Konventionalstrafe von 100 Millionen Euro an das Land, längst keine Rede mehr. Bereits 2011 erklärten der Gerätehersteller Siemens und die Rhön-Klinikum AG, dass sich die Partikeltherapie nicht rechne. Siemens kaufte die Anlage zurück und nutzt sie seither zu Forschungszwecken.

Das Land Hessen schweigt dazu, gibt Rhön Aufschub. Doch der Niedergang des UKGM scheint kaum noch aufzuhalten zu sein: wachsende Unzufriedenheit auch der Mitarbeiter, ein immer größeres Minus. Ein Zwischenbericht der Unternehmensberatung McKinsey, der 2012 veröffentlicht wurde, offenbart wie das UKGM zum Pleitekandidaten verkommt: Es bestehe, so das Gutachten, ein "strukturelles Defizit" in Höhe von 20 Millionen Euro und ein weiterer Investitionsbedarf bis 2020 in Höhe von mehr als 200 Millionen Euro.

Gerüchten darüber, dass Patienten das Klinikum meiden würden, kann das UKGM die hauseigene Statistik entgegenhalten, die seit 2006 kontinuierlich steigende Patientenzahlen verzeichnet.

Gegen die umstrittene Privatisierung wehrt sich eine Ärzteinitiative, die bereits 2009 gegründet wurde: NotRuf113 beklagt den "Kahlschlag der medizinischen Versorgung einer ganzen Region". Die Initiative fordert die Landesregierung auf, das Universitätsklinikum zu rekommunalisieren, ähnlich, wie es bereits für Energie- und Wasserversorgern diskutiert wird. "Rückkauf jetzt", lautet die Parole.

Profitable Nischen

Nicht immer müssen Privatisierungen im Desaster enden. Bei kleinen Krankenhäusern etwa, die lediglich eine medizinische Grundversorgung aus Innerer Medizin, Chirurgie und Gynäkologie anbieten, kann ein Verkauf durchaus sinnvoll sein. Und auch größere Häuser, die als Regelversorger mindestens zwei weitere Fächer abdecken, können durchaus profitabel Nischen füllen.

Allerdings führt auch das zu einem Problem: Die kleineren Häuser picken sich die Rosinen heraus und spezialisieren sich auf lukrative Eingriffe. Heikle Fälle, die sich nicht lohnen, landen dagegen bei den städtischen und Uni-Kliniken - und die bleiben auf ihren Kosten sitzen.

"Das führt geradewegs in ein ethisches Dilemma", warnt Martin Engelhardt, Cheforthopäde am Klinikum Osnabrück. "Auf lange Sicht droht, dass einfache Patienten ohne Privat- oder Zusatzversicherung nicht mehr an Spitzenmedizin herankommen." Bei einigen privaten Kliniken zeichnet sich dieser gefährliche Trend bereits ab: Sie melden sich vom Rettungsdienst ab - weil er nicht profitabel ist.

Gleichzeitig wächst der Anreiz für private Kliniken, mehr unsinnige, aber hochdotierte Therapien durchzuführen, selbst wenn diese mehr schaden als nutzen. Schon jetzt bekommen in Deutschland erheblich mehr Patienten künstliche Hüftgelenke eingesetzt als im europäischen Durchschnitt, ähnlich sieht es bei Bandscheibenoperationen und Kniespiegelungen aus.

Weiteres Beispiel: Die Palliativmedizin, die eigentlich ein würdevolles Sterben ermöglichen sollte, hat sich mittlerweile ebenfalls zu einem lukrativen Markt entwickelt. Nicht viel anders sieht es auf so mancher Intensivstation aus. Da werde, wie ein ehemaliger Klinikleiter sagt, der namentlich nicht genannt werden will, so mancher Todgeweihte noch eine ganze Weile länger am Leben gehalten. Weil es sich einfach lohne - schließlich werde nur für lebende Patienten gezahlt.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Texts hieß es, Siemens habe die Partikeltherapie-Anlage des Universitätsklinikums Gießen und Marburg zurück- und anschließend nach Shanghai weiterverkauft. Das ist nicht richtig, in Shanghai entsteht eine neue Anlage. Wir haben den Fehler korrigiert und bitten, ihn zu entschuldigen.

In einer früheren Version des Texts hieß es, am UKGM sänken die Patientenzahlen. Zudem konnte der Eindruck entstehen, im Klinikum habe es seit der Privatisierung 2006 unter dem Strich einen Personalabbau gegeben. Beides ist falsch. Die Patientenzahlen am UKGM sind von 2006 bis 2012 ambulant und stationär kontinuierlich gestiegen. Das Personal ist in Stellen gerechnet von gut 7031 Vollzeitstellen 2006 auf 7496 Vollzeitstellen in 2012 geewachsen, während im Dezember 2006 8999 Personen im UKGM arbeiteten, waren es im Dezember 2012 9726 Mitarbeiter. Im Dezember 2012 arbeiteten mehr Ärzte und Pflegekräfte am UKGM als im Dezember 2006. Wir haben die Fehler korrigiert und bitten, sie zu entschuldigen.